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Von der Schülerin zur Lehrerin

Heute möchte ich meine Geschichte mit euch teilen. Ich wäre sehr interessiert daran, zu wissen, wie es anderen Lehrenden erging… Wer will, kann mir gern seine Geschichte zur Veröffentlichung senden.

Mein Weg von der Schülerin zur Lehrerin:

Immer wenn ich an meine Schulzeit zurückdenke, erinnere ich mich an überwiegend griesgrämige, hämische oder gestresste Lehrer*innen der Kriegskindergeneration. Sie warfen mit Stühlen, rissen an den Haaren, gaben Schulaufgaben mit einem Kopfschütteln über so viel Dummheit zurück oder fragten Schüler*innen bis zum Weinkrampf aus. Eine war nett: Es war eine kurz vor der Pensionierung stehende promovierte Mathelehrerin mit Föhnpagenkopf, die mir – der Matheniete – die Hand liebevoll auf die Schulter legte und meinte: „Sylvia, Sie können das schon.“ Dieser Satz war natürlich Balsam auf meinem malträtierten Schülerinnenseele und ist mir bis heute im Gedächtnis geblieben. 

Ich schaffte das Abi gar nicht mal so schlecht und flüchtete dann erstmal weg von Prüfungs- und Lernstress nach Rom, der Stadt des Dolce Vita und damit des lockeren Lebens. Dort verbrachte ich 15 Monate der Leichtigkeit und importierte meinen dort gefundenen Freund in meine Heimatstadt, um dort mein Studium in den Fächern Anglistik, Romanistik und Didaktik des Deutschen als Fremdsprache zu starten. Italienisch konnte ich ja schon, Englisch dagegen war im Lehramt damals die einzige mögliche Kombination mit Italienisch. DaF wählte ich dann als Zusatzfach, weil es mir schon bald dämmerte, dass es mir eine Tür ins Ausland öffnen könnte. 

Mein Aufenthalt in Italien hatte mir die Augen für die Erkenntnis geöffnet, dass man Sprachen in der Schule viel zu langsam und nicht wirklich zur Anwendung lernte. Nach einem Jahr Rom konnte ich ohne Schule oder Kurs flüssig Italienisch sprechen, während ich nach 9 Jahren Englisch in der Schule in Dover erschrocken feststellen musste, dass ich den Mann am Ticketschalter null verstand. Er gab Laute von sich, die in meinen Ohren einfach keinen Sinn ergaben. 

Im Laufe meines Studiums musste ich dann das sogenannte Blockpraktikum an einem Gymnasium absolvieren. Zufälligerweise traf mich meine alte Schule, in der ich im Lehrerzimmer auf meinen Ex-Englischlehrer traf, der fast vom Hocker fiel, als er mich wahrnahm. Ja so schnell kann es gehen..

Als mir immer klarer wurde, dass das Lehramtsstudium unweigerlich zum damals für mich miefigen Lehrerdasein an einer bayrischen Schule führen würde, half mir der Magister aus der Patsche. Ich schloss mein Studium gut ab und gönnte mir daraufhin eine dreimonatige  Reise nach Zentralamerika. 

Meine Tour begann in Costa Rica und dort erfuhr ich dann, dass meine Bewerbung als muttersprachliche Lehrerin an einer Schule in Italien erfolgreich war und dass ich im September meine Stelle in Modena antreten würde. 

Modena kannte ich bis dahin nur vom Vorbeifahren auf der Autobahn Richtung Florenz. Ein netter älterer Herr aus Reggio Emilia ( bei Modena), sagte mir gleich: „Modena ist eine nette Stadt, gleich in der Nähe von Bologna. Da fühlen Sie sich sicher wohl.“ 

Ich nahm die Stelle an und fuhr vor Schulbeginn nach Modena um meine Karriere am Istituto Tecnico Commerciale Barozzi zu starten. Das baufällige Gebäude, das ich betrat, war von rauchenden Schülern belagert, die in den vermüllten Gängen herumlungerten. Ich wurde von der Rektorin begrüßt, die genau wie ich neu war und sich vorgenommen hatte, dort gründlich aufzuräumen. Meine Aufgabe war es, die festangestellten Deutschlehrerinnen mit meiner muttersprachlichen Kompetenz im Unterricht zu unterstützen und vor allem in den Bereichen Landeskunde, Aussprache und Intonation und bei der mündlichen Sprachproduktion aktiv zu werden. Ich arbeitete mit vier verschiedenen Lehrerinnen, denen ich versuchte unter die Arme zu greifen. Die älteste war die gefürchtete Prof. Masali, die am Pult sitzend ihre Schüler*innen, die ordentlich in Reihen vor ihr saßen, von Zeit zu Zeit anbrüllte: „Siete tutti degli idioti!“ (Ihr seid alle Idioten!). 

Die zweite war die Prof. Molinari mit hellblonder Lockenmähne, und riesigen blauen Augen, die im Gebrüll ihrer Schüler unterging und bei der öfter mal der „bidello“ (einer der zahlreichen Hausmeister) vorbeikam, um zu schauen, warum die Klasse mal wieder so laut war. Die dritte Lehrerin Frau Gramsci verschwand in die nächste Bar, sobald ich die Klasse hatte. Die vierte und letzte Lehrerin gab mir strenge Anweisungen, welche Grammatikeinheit ich der Klasse vermitteln sollte, während auch sie geschäftig ihren Angelegenheiten nachging. 

Ich wurde als frischgebackene Lehrerin sowohl von den Lehrenden als auch von den sogenannten Hausmeister*innen ständig für eine Schülerin gehalten. Ich versuchte herauszufinden, wie ich als Lehrkraft sinnvoll arbeiten könnte, um an die Schüler*innen heranzukommen. Voller Idealismus wollte ich alles ganz anders machen. Ich wollte spielerisch und motivierend arbeiten und dachte mir dafür interaktive Übungen und Rollenspiele aus. Doch oft musste ich feststellen, dass viele Schüler*innen kaum, dass eine Lehrerin freundlich statt strafend auf sie zuging, komplett überreagierten und außer Rand und Band gerieten. Es war, als nähme man den Deckel von einem Dampfkochtopf zu früh ab und alle Kartoffeln hüpften wie wild geworden durch die Küche (siehe Klassenzimmer). Langsam aber sicher wurde mir klar, dass der Lehrerjob nicht unbedingt der Einfachste war. Vor allem wenn man sich an einer Berufsoberschule befand, an der die meisten Schüler*innen kein Interesse an Deutsch oder am Sprachenlernen hatten. Dennoch war es eine tolle und lehrreiche Zeit, auch wenn ich die ersten Jahre meines Berufslebens wie eine Hochstaplerin durch die Schule schlich, weil ich eigentlich noch nicht richtig dran glaubte, dass ich jetzt die Lehrerin und nicht mehr die Studentin war. 

Einmal kam die Mutter einer Freundin unserer Frauen-WG zu Besuch und fragte nach unseren Berufen. Ich sagte, dass ich Deutsch unterrichtete und sie sagte: „Ah toll, an der Uni oder?“ Ich dachte nur: Ja schön wärs. Doch einige wenige Wochen später erhielt ich einen Anruf des Besitzers einer Sprachenschule in Modena. Der schon recht alte Chef meinte, ich hätte alle „titoli“ um an der Uni zu unterrichten, was ich zögerlich bestätigte. Kurz darauf hatte ich den ersten Unikurs vor mir. 

Dort war ich endlich allein für meinen Kurs verantwortlich und konnte meine Kreativität und Kompetenz so einbringen, wie es meiner Ansicht nach sinnvoll war.  Dort treibe ich nun seit über 20 Jahren mein „Unwesen“ Image may be NSFW.
Clik here to view.
🙂


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